Michaela Maria Müller

Interviews

Interview mit Jila Mossaed über Identität und Sprache

Jila Mossaed ist die erste Exilautorin überhaupt, die in die schwedische Nobel-Akademie aufgenommen wurde. Mit der Dichterin Jila Mossaed, 1948 in Teheran geboren, wird zum ersten Mal eine Exilautorin in die Akademie aufgenommen. Ein Gespräch über Herkunft, Zweisprachigkeit und Neuanfänge.

taz am wochenende: Frau Mossaed, am 20. Dezember werden Sie bei einem Festakt als Mitglied der Schwedischen Akademie aufgenommen. War es eine große Überraschung, als Sie erfuhren, dass Sie als neues Mitglied vorgeschlagen wurden?

Jila Mossaed: Ja, das war es. Ich hatte mir tatsächlich nie ausgemalt, dass ich eines Tages auf einem dieser Stühle sitzen werde. Ich kam mit 38 Jahren nach Schweden und begann erst dann, in dieser Sprache zu schrei­ben. Es ist ein unglaublicher Triumph. Ich bat mir trotzdem eine Woche Bedenkzeit aus, weil ich wusste, dass sich dadurch mein Leben sehr ändern würde. Ich lebe in Göteborg und muss von nun an einmal die Woche nach Stockholm zu den Sitzungen. Es sind viele Aufgaben damit verbunden, unter anderem viel Lesearbeit. Aber ich stimmte zu. Weil ich eine Exilautorin bin, weil ich eine Frau bin, weil ich aus dem Nahen Osten komme.

Es werden noch zwei weitere Mitglieder neu aufgenommen: Eric Runesson, ein Richter am Obersten Gerichtshof, und Mats Malm, ein Autor und Übersetzer. Was werden Ihre Aufgaben sein?

Wir hatten erst ein Treffen, bei dem uns das Haus gezeigt wurde. Mit der Arbeit beginnen wir noch. In einem oder zwei Monaten werde ich mehr wissen. Es gibt auch eine Reihe von Arbeitsgruppen, die weitere Literaturpreise vergeben.


Im November wurde bekannt gegeben, dass ein externes Komitee aus Literaturwissenschaftler*innen und Autor*innen 2019 und 2020 über den Nobelpreis entscheiden wird. Kennen Sie die Hintergründe dieser Entscheidung?

Ich wurde bei meinem ersten Besuch ebenfalls gefragt, ob ich Teil des Komitees sein möchte, aber ich will die Akademie erst kennenlernen. Nach den Vorkommnissen übten die Medien und die Gesellschaft einen großen Druck auf die Akademie aus, sich zu verändern. Es hat somit eine gute Seite, denn wir brauchen neue Stimmen. Großartige junge Autor*innen und Kritiker*innen kommen nun neu hinzu.

In den vergangenen Jahren sind Sie mit den wichtigsten Literaturpreisen Schwedens ausgezeichnet worden. Ihr Werk umfasst inzwischen über zwanzig Bücher und Theaterstücke. Es wurde in viele Sprachen übersetzt. Bis Mitte vierzig schrieben Sie auf Persisch, seit Anfang der 1990er Jahre auch auf Schwedisch. Können Sie den Prozess beschreiben, wie es war, die Sprache zu wechseln?

Es war ein langer Weg. Ich habe zur Sprache meiner Kindheit eine andere Verbindung, das ist normal. Wenn ich auf Schwedisch schreibe, ist es, als ob ich in einen Pool ein­tauche; wenn ich auf Persisch schreibe, ist es, als ob ich in einem Ozean schwimme. Aber es war am Anfang nicht nur die Sprache …

Was noch?

In den ersten Jahren sah ich jeden Morgen einen Riesen an meinem Bett, der sich vor mir aufbaute. Dieser Riese war die schwedische ­Sprache, die Kultur, das Klima, die Natur. Alles, was anders war. Ich habe begonnen, mit ihm zu sprechen.

Warum haben Sie sich entschieden, sechs Jahre nach Ihrer Ankunft die Sprache zu wechseln?

Ich hatte immer das Gefühl, meine Situation für die zukünftigen Generationen bezeugen zu müssen. Ich war Ende dreißig, als ich mit meinen beiden Kindern nach Schweden kam. Und ich bin nicht freiwillig gekommen. Ich hatte kein Geld, keine Arbeit, keine Zukunft und keine Sprache. So bin ich eine Stimme für Millionen Menschen, die ihre Heimat verlassen müssen, um die Welt wandern und versuchen, ein Dach über dem Kopf zu finden. Ich schreibe auf Schwedisch, um gehört zu werden. Wir müssen Teil des Gedächtnisses werden. Und ich glaube, das ist mir ein Stück weit gelungen.

Wie ist es, in zwei Sprachen zu arbeiten?

Es macht meine Sprache reicher. Ich wusste alles über die Geschichte und die Mythologie Irans. Dann habe ich angefangen, mich mit schwedischer Geschichte, Literatur und Mythologie zu beschäftigen. Heute kann ich beides kombinieren. Ich verbinde die opulente, verspielte Sprache meiner alten Heimat mit der klaren, nüchternen Sprache meiner neuen Heimat.

Die Literaturkritikerin Hanna Nordenhök vergleicht Sie mit der Dichterin Nelly Sachs. Sie sagt: „Es ist interessant, wie die Exilpoetiken beider Autorinnen so exakt zwischen grenzenloser Verwundbarkeit und unbeugsamer Unbändigkeit anderseits balancieren.“ In den ersten Jahren haben Sie viel Zeit in der Natur verbracht und schreiben auch in Ihren Gedichten darüber.

Ich bin ein Kind des Asphalts, ich bin in Teheran geboren. Bis ich nach Schweden kam, hatte ich noch nie Wald vor meinem Fenster gesehen. Ich begann, mit den Bäumen zu sprechen. Ich erzählte ihnen, wie es war, das Salz der iranischen Wüste zurückzulassen. Ich hatte bald den Eindruck, die Natur wäre offener und freundlicher. Sie umarmte mich, anders als der Rest meiner neuen Welt. Es war gut, in die Natur zu gehen. Ich habe viel von ihr gelernt. Ich sammelte keine Pilze, ich suchte nach Antworten im Leben.

Welche literarischen Vorbilder haben Sie in Schweden gefunden?

Eine Menge, etwa Edith Södergran, Harry Martinson oder Pär Lagerkvist. Nehmen wir Lagerkvist. Ich habe eine dunkle, melancholische Seite wie er. Und ich lache gern. Lagerkvist bringt mich zum Lachen.

Welchen Rat würden Sie jungen Autor*innen mit zwei oder mehr Sprachen und Identitäten geben?

Als ich nach Schweden kam, dachte ich viel über mich nach. Zuallererst definierte ich mich als Dichterin. Die Literatur gehört der Welt und ist Teil der Welt. Wenn ich Gedichte schreibe, spielt meine Herkunft keine Rolle, etwa, dass ich aus dem Nahen Osten und aus dem Iran komme, Frau oder Muslima bin. Ich bin ein Mensch, und die ganze Welt ist mir wichtig. Als Mensch schreibe ich über das, was mich glücklich oder traurig macht. Ich nenne mich gern Dichterin im Exil. Es trifft es, denn das bin ich immer gewesen. Im Iran genauso wie in Schweden.

Am Göteborger Theater wird gerade das Stück „Upprorets poet“ von Ihnen gespielt.

Ja, über die Dichterin Forugh Farrokhzad. Ich halte sie für die bedeutendste zeitgenössische Dichterin Irans. Sie starb 1967 mit nur 32 Jahren bei einem Autounfall. Sie war eine starke und talentierte Frau. Die gesamte, männlich dominierte Literaturszene Teherans hatte sich gegen sie gestellt, doch sie hat sich nicht beirren lassen. Das Stück hatte im November Premiere und wird in sechs anderen Theatern als Gastspiel aufgeführt.

Wissen Sie bereits, wie die Aufnahmezeremonie am 20. Dezember ablaufen wird?

Jeder von uns hat eine zehnminütige Rede vorbereitet, um sich vorzustellen.

Die Sitze sind von 1 bis 18 nummeriert. Sie übernehmen die Nummer 15.

Ja, und das bedeutet mir viel. Es ist der Sitz, den die Autorin Kerstin Ekman vorher innehatte. Als Chomeini 1989 die Fatwa gegen Salman Rushdie aussprach, forderte sie von der Akademie, sich für ihn einzusetzen. Das passierte nicht, und Ekman legte, obwohl es damals noch gar nicht möglich war, ihr Amt nieder. Ich werde sagen, wie stolz ich bin, Kerstin Ekmans Sitz zu übernehmen.

Erschienen in der taz am Wochenende, 15./16. Dezember 2018